Ornithologen wissen es schon lange: Der gemeine mattgold-lackierte Keramikvogel fühlt sich am wohlsten, wenn er kaltgefroren und regungslos auf einem Marmorsockel ruhen darf, die Flügel steif an die Hühnerhüfte gelegt, den Kamm stolz aufgerichtet, den Schnabel geschlossen. Heroisch, möchte man meinen, so wie jüngst in Köln beobachtet, wo das schönste aller künstlicher Federviecher zum 15. Mal Trophäe und Namenspatron des wohl coolsten – wenn nicht eisigsten – Takrawturniers des Jahres war. Ja, erst wenn sich alles vor Kälte zusammenzieht und kein warmer Hauch sich unter das güldene Gefieder schleicht, ist alles gut. Und gut war es am ersten Dezemberwochenende beim Chickens Cup 2016 in Köln, wo der Ausfall der Hallenheizung und die defekte Eingangstür kein Zufall gewesen waren, sondern vielmehr Opfergabe an das tierische Takraw-Heiligtum in Hühnchengestalt. Immerhin ein Jahr lang musste es schließlich zuletzt im subtropischen Elmshorn übersommern. Der Pokal fühlte sich also wohl.
Die gut 80 Sportler allerdings staunten nicht schlecht, als sie, von Zuhause höchsten einen begehbaren Nanyang-Schuhschrank gewohnt, plötzlich in einem begehbaren Kühlschrank standen, der anderenorts fachmännisch einfach nur „scheiß verdammt kalte Turnhalle“ genannt worden wäre. Doch wer wenn nicht ein Takrawspieler ist wie gemacht dafür, sich eine kuschelige Nische zu suchen, von der keiner etwas ahnt und die doch die beste der Welt ist – hat ja bei der Wahl der Sportart auch schon prima geklappt. Und so rückte nach und nach der Frust über den Frost in den Hinter- und die geflochtenen Bälle in den Vordergrund. Eben diese galt es bei den Temperaturen natürlich ordentlich warmzukloppen. Und so sorgte ein rekordverdächtiges Teilnehmerfeld von 27 Regus und 36 Doppeln sowie ein herrlich kaiserlich ausufernder Spielplan dafür, dass dies auch in vielen vielen Matches geschah.
Division Ahhhhhhh
Da beim europäischen Takraw die Breite in der Spitze dichter geworden ist, wurde im Regu-Wettbewerb zügig in zwei Divisionen separiert. 14 Mannschaften konnten sich für Division A qualifizieren und in jeweils zwei Gruppen ihre Kräfte messen. Takraw-Spiele auf Augenhöhe waren das Ziel. Und das Ziel ging auf in Form enger Matches, in denen fast jeder jeden schlagen konnte. Nur die eingespielte Crew von Elmshorn 1 ging ohne Niederlage durch die Zwischenrunde, war aber nicht unverwundbar, wie Satzverluste gegen Kiel und Strasbourg zeigten. Besonders gut hat das Team aus Angermünde hingeschaut, wo sich die Achillesferse des Titelverteidigers verbarg und dieses Wissen im Finale eiskalt angewendet. Das Team um das iranische Takraw-Idol Mahjid Salmani wusste die elmshorner Athletik mit unverschämter Gelassen- und Ballsicherheit auszugleichen. Feeder Mohsen rührte sich praktisch nicht vom Fleck, war aber dennoch immer und überall dort, wo der Ball Sekundenbruchteile später auftauchte. Während sich Fian, Robert, Tim (und der eingewechselte Simse) noch fragten, wie der Kerl den Flux-Kompensator durch die Dopingkontrollen gekriegt hat, stand der Ball schon senkrecht am Netz, wo Yassin in Schönschrift die Definition für Angriffseffektivität ins Strikerhandbuch malte („…wenn der Ball dort unerreichbar hingeschossen wird, wo er hingehört, egal aus welcher Höhe, aus welchem Winkel, mit welcher Geschwindigkeit, ganz einfach.”). Seine Erfahrung aus dem Footbag war in dieser Hinsicht sicherlich nicht allzu hinderlich. Das goldene Hühnchen wechselt also für ein Jahr den Besitzer.
Das äußerst knappe Finale und das Turnier insgesamt haben gezeigt, dass es in Zukunft nicht unbedingt einfacher wird, im europäischen Takraw Trophäen zu gewinnen. Auch ohne übermächtige Konkurrenz aus Asien lauern immer mehr Mannschaften am Fuße der Siegertreppen und wollen sie mit viel Trainingsfleiß und Engagement für ihren Sport erklimmen. Erstmals schaffte es etwa Renato aus Cannes, ein komplettes Team zu einem Turnier und dann auch noch direkt in Division A zu lenken. Dorthin schaffte es bei ihrem Wettkampfdebüt auch eine Mannschaft aus Bulgarien. Evry wird immer konstanter und auch in Kiel tut sich immer mehr, auf und neben dem Spielfeld.
Wer A sagt…
…muss auch Division B sagen. Und auch hier äußerst erfreuliche Nachrichten hinsichtlich der Takraw-Evolution: Nur knapp scheiterte ein Team von der verwandten Sportart Federfußball an der Qualifikation für Div. A, sicherte sich dafür gegen das deutsche Frauen-Nationalteam im Finale den Titel in Division B. Mit ihrer Ballsicherheit, entspannten Spann-Annahme und flexiblen Gräten ist zu hoffen, dass der Ausflug zum Takraw keine Ausnahme war. Auch neue Spieler aus Heidelberg, Straßburg und Elmshorn zeigten sich in Köln, und zwar durchaus von talentierter und ambitionierter Seite. Gerade in Elmshorn sind ein paar junge Eisen im Feuer, die derzeit in der Glut erfahrener Takrawten für künftige Aufgaben zurechtgeschmiedet werden. Kein Wunder, dass von denen keiner kalte Füße hatte!
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Im Doppel sorgten die Youngsters allerdings (noch) nicht für die Überraschung. Dafür erlebte die Schweizer Takraw-Legende Reto mitten im Winter seinen dritten Frühling, verschmolz mit seinem Partner Phim zu einem Rattan-Magneten und schickte bis hin zum Finale einige arrivierte Duos frühzeitig unter die ar(kti)sch-kalten Duschen. Im Endspiel dann ein gewohntes Bild: Elmshorn 1 ließ wie im kompletten Turnier im 2 vs. 2 nichts anbrennen. Striker Simon machte es sich am Netz gemütlich als wäre er Gast einer römischen Orgie und ließ sich genüsslich vom formidablen Feeder Robert gelbe Trauben anreichen. Unersättlichkeit zahlt sich eben aus – diesmal in Form der Double-Europameisterschaft 2016.
Alles in allem war der Chickens Cup ein sportlich faires und hochklassiges Turnier mit Ballwechseln, die dem Takraw-Freund wärmer ums Herz werden ließ, als es noch so funktionsfähige Heizkörper vermocht hätten. Nun gilt es, sich erstmal von dem Turnier (und von dieser Berichterstattung) zu erholen. Am 18./19. März trifft sich Takraw-Europa bei den Swiss Open in Basel wieder. Bei welchen Temperaturen auch immer, ob eiskalt, mit kühlem Kopf oder warmblütig, ganz sicher aber heiß auf Takraw und willig zu zeigen, was bis dahin im heimischen Training passiert ist.